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Geschichte Rußlands (bis Kiever Rus)

Aus: Weltgeschichte Rußland, Verlag Weltbild
von den Proffessoren: M.Hellmann, C.Goehrko, P.Scheibert und R.Lorenz

Osteuropa
Altsteinzeit
Gruppen von Jägern und Sammlern, Feuergebrauch, Geräte und Waffen aus stein und Holz.

Mittelsteinzeit
Bildung von zwei Kulturkreisen:
1. nördlich, mit Mittelmeer und Westsibirien in Verbindung stehend
2. südlich, über Krim, Kaukasus und angrezende Steppenregionen

Jungsteinzeit
Bildung heutiger Vegetationszonen, neue Menschengruppen wandern ein, Ackerbau, Viehzucht und Töpferei breitet sich aus.
Die Jäger und Sammler der nördlichen Waldzonen übernahmen nur die Töpferei und verzierten ihre Gefäße mit Kamm- oder Grübchenmustern (>Kammkeramiker, siehe wikipedia)
Die südliche Gruppe am Dnepr und Donec, am Nordufer des Schwarzen Meeres und auf der Krim übten primitive Bodenbearbeitung und verwendetet die Metalle Gold und Kupfer für Schmuck. Sie gingen zugrunde, als sich aus Südeuropa eine bäuerliche Kultur in den Waldsteppengebieten nördlich des Schwarzen Meeres ausbreitete (> Tripolje-Kultur, wikipedia), welche voll entfalteten Ackerbau und Viehzucht kannte und bereits Kupfer verarbeitete. Im 3.JT v.u.Z. drang die Tripolje-Kultur bis an den mittleren Dnepr vor, wo sie mit den Kammkeramikern zusammen traf.
In den Steppenzonen am unterem Dnepr und unterer Wolga lässt sich etwa gleichzeitig eine Kultur nachweisen, deren wichtigste Kennzeichen sogenannte Kurgane (Grabhügel aus Erde oder stein) sind, in welchen Angehörige einer Oberschicht beigesetzt worden. (Kugankultur, wikipedia)
In späterer Jungsteinzeit drangen aus Mitteleuropa die sogenannten Schnurkeramiker vor. (siehe wikipedia)
Am Ende der Jungsteinzeit ergab sich eine Zweiteilung in die Jäger und Fischer der nördlichen Waldzonen (die aber z.T. auch Ackerbau und Viehzucht betrieben) und die Ackerbauern und Viehzüchter der südl. Waldsteppen und Steppenregionen.
In erstgenannterer Gruppe vermutet man die Vorfahren der finnisch.ugrischen Stämme, wobei man in den Schnurkeramikern, Angehörige der indogermansichen Sprachfamilie sieht, ohne scharfe Grenzen zwischen einzelnen Mischgruppen wie die Fat´janovo-Gruppe (> wikipedia), zu ziehen.

Bronzezeit
Im 2. JT. v.u.Z. gibt es vom Mittelmeer bis nach Sibirien reiche Handelsverbindungen. Die Jäger und Fischer halten an ihrer bisherigen Lebensweise fest, trotz Übernahme von Bronzeverarbeitung, werden aber allmählich zurück gedrängt bzw. "überformt".
Die Gruppe der Ackerbauer und Viehzüchter in den Steppengebieten werden von den Hochkulturen des vorderen Orients beeinflußt.
Von Osten her dringt eine Viehzüchterkultur (Karassukkultur, > wikipedia) vor, die mit China der Shang-Dyn. Beziehungen unterhält.
Mit indoiranischen Gruppen will man die nördlich des Kaspischen Meeres lebende Andronova-Kultur (> wikipedia) identifizieren.
Die Steppenregionen von unterer Wolga über Don und Dnepr bis an die Dnestr wurden von Trägern der Balkengräberkultur bewohnt, die sich unmittelbar aus der Kurgankultur heraus entwickelt.
Ackerbau, Vieh- und Pferdezucht, Metallurgie (Kupefer, Zinn) und Weberei wurden betrieben.

Frühe Eisenzeit
Es existieren wenige orientalische und griechische Schriften.
Ein Teil der Forscher hält die stämme der Katakombengräberkultur (>wikipedia) für die Vorfahren, der durch Herodot bezeugten (und bezeichneten) Kimmerier und die navhkommen der Balkengräberkultur für die Skythen. Andere sehen die Kimmerier in den Trägern der Kobankultur (>wikipedia) im nördlichen Kaukasusvorland. Die Kobankultur, benannt nach einem Nebenfluß des Terek, umfasst das gesamte Einzugsgebiet des Terek bis ans kaspische Meer und dem nördlichen Zentralkaukasus. Ihre Träger waren Reiternomaden, die Beziehungen zum vorderen Orient hatten, daher die Vermutung, dass in ihnen die reiternomadischen Kimmerier zu sehen sind. Erst Mitte des 7. Jhr. v.u.Z. wurde Bronze durch Eisen ersetzt. Die Kimmerier mussten dann den aus Osten vordringenden Skythen weichen.
Die Skythen (>wikipedia) erschienen im 9./8. Jhr. v.u.Z. nördlich des Schwarzen Meeres. Im 7. Jhr. v.u.Z. errichten sie eine Herrschaft zwischen Dnestr und Don. Östlich davon saßen die sprachlich verwandten nomadischen Sarmaten (>wikipedia).
Auf der Halbinsel Krimm lebten die verhältnissmäßig primitiven Taurier (>wikipedia).
Viehzüchtende nomadische Skythenstämme siedelten nördlich und östlich der Steppe, die ackerbautreibenden Skythen am Dnepr-Bogen bis an die Waldsteppen. Aus der Bestattung der "skythischen Periode" ist eine sehr ausgeprägte soziale Differnzierung abzulesen. Hauptstadt der "königlichen" (= regierenden) Skythen vom 5. bis 2. Jhr. v.u.Z. war vermutlich das Kamenskoe gorodišce an der Mündung des Konka (unterer Dnepr). Hier wird die Residenz des Skythenkönigs Atheas (>wikipedia) vermutet, der in seinem 90-jährigen Leben die Herrschaft bis an die untere Donau ausdehnte.
Seit Ende des 3. Jhr. v.u.Z. wichen die Skythen von den aus Osten eindringenden Sarmaten auf die Krim zurück, wo sie im 3. Jhr. v.u.Z. die neue Hauptstadt Neapolis (heute Simferopol) gründeten. Außer der Krim blieben unter anderem Gebiete am Unterlauf des Dnepr unter skythischer Herrschaft. Bis ihnen Mitte des 3.Jhr. die Goten ihr Ende bereiten.

Im 7. Jhr, v.u.Z. waren auch die Griechen bis ans Schwarze Meer vorgestoßen. Kolonisten aus Milet gründeten Tyras am Dnepr, Olbia, Theodosia (Krim), Pantikapeion (Kerc) und Phanagoria (auf Taman-Halbinsel). Milesische Kolonisten der Insel Lesbos legten unweit von Phanagoria die Stadt Hermonassa (bei heutiger Tamanskij-Station) an. Im letzten Viertel des 5. Jhr. v.u.Z. gründeten Sidler aus Megara von Herakleia Pontika am Südufer des Schwarzen Meeres die Stadt Chersonesos (bei Sevastopol). Die Griechen am "kimmerischen Bosporus" wurden von politischen Führern von Pantikapeion unter der Dynastie der Archeanaktiden zusammen geführt (> Bosporianisches Reich, wikipedia). Sie verkörperten eine bedeutende wirtschaftliche und politische Macht, bis die Skythen, vor den Sarmaten fliehend, sich auf die Krim zurück zogen und die griechischen Städte gefährdeten. Der letzte König des Bosporianischen Reiches bat den pontischen (>wikipedia) König Mithradates VI. Eupator (der Gründer von Eupatoria, Westküste Krim; >wikipedia) um Schutz. Als die Römer ihn unterwarfen, geriet das Bosporianische Reich unter römische Oberherrschaft, blieb aber den Nachfolgern des Mithradates unterstellt. Eine zweite Blüte erlebte das Bosporianische Reich im 1. und 2. nachchristlichen Jr. als Handelspartner der Skythen und Sarmaten. In den Griechenstädten der Nordküste des Schwarzen Meeres entstanden erste (osteuropäische) Höhlenklöster.
Die nomadischen Sarmaten, durch neu zuwanderte Stämme aus Osten verdrängt, erobern im 2. und 1. Jhr. v.u.Z. den größten Teil des Skythenreiches und bedrängen die Griechenstädte. Sarmatische Stämme wie die Alanen (>wikipedia) am unteren Don zogen sich beim Hunneneinfall des 4. Jhr. u.Z. in den inneren Kaukasus zurück.
Ende des 2. Jhr. u.Z. wanderten die Goten (>wikipedia) und Gepiden (>wikipedia) von der Weichsel nach Südosten. Ihre Herrschaft dehnte sich bis ans römische Reich aus. Die Goten setzen sich ab 267 u.Z. am "kimmerischen Bosporus" fest, erobern Pantikapeion und unterbrachen die zeitweilig noch bestehende Verbindung der Griechenstädte zu Rom. Der größten Machtentfaltung unter Ostgotenkönig Ermanarich folgte der jähe Zusammmenbruch, als die aus Zentralasien nach Westen vorstoßenden Hunnen 375 u.Z. das Ostgotenreich und im darauf folgendem Jahr, das Westgotenreich Athanarichs zerstörten. Sie überfielen auch das Bosporianische Reich, vernichteten die Städte und verschleppten oder erschlugen die Bewohner.
Das innerasiatische Reitervolk der Awaren (>wikipedia besetzte zu Beginn des 6. Jhr. u.Z. die Steppe nördlich des Schwarzen Meeres. Unter Khan Bajan erschienen sie 556 u.Z. an den Grenzen des oströmischen Reiches und wenig später des fränkischen Reiches und besetzten 570 die pannonische Tiefebene. Sie trieben slavische Gruppen vor sich her und zwangen sie in Abhängigeit. Somit lösten sie die slavische Völkerwanderung aus. Eine zweite Welle slavischer Einwanderer kam seit dem 8. Jhr. nach Osteuropa. Diese alanisch-bulgarischen Stämmen ist die Errichtung von Burgen nachzuweisen, ebenso wie der Handel mit griechischen Kolonien am Schwarzen Meer.
Die baltisch-finnougrischen Stämme wurden nach Nordwesten Richtung Ostsee abgedrängt, dort zwangen sie ihrer Seits die ostfinnischen Vorbewohner sich nach Norden (Estland) zurüchk zu ziehen. Slavische Siedler folgten um 800 u.Z.
Ein Teil der Slaven geriet unter die Oberherrschaft des Chazarenreiches (>wikipedia), das Ende des 5. Jhr. zwischen Wolga und Don entstand, mit der Hauptstadt Itil am Wolgadelta. Es umschloß sehr verschiedene ethnische Elemente (u.a. Mayaren, Alanen). Die Chazaren selbst waren türkischer Sprache und Herkunft, bildeten zwar nur eine Minderheit, stellten aber die Oberschicht und bekennen sich z.T. seit Begimm des 9. Jhr. zum jüdischen Glauben. Andere Chazaren traten zum Islam und einige zum Christentum über. der große Teil jedoch blieb "heidnisch".
Seit 624 gab es politisch-wirtschaftliche Beziehungen zum oströmischen Reich, wobei die griechischen Kolonien auf der Krim vermittelten. Die Tributherrschaft der Chazaren über die ostslavischen Stämme am Dnepr und über die seit Mitte 7. Jhr. an der unteren Kama und mittleren Wolga ansässigen Bulgaren (Wolgabulgaren) scheint keinen starken Wiederstand gefunden zu haben. Chazaren errichten mit Hilfe byzantinischer Baumeister im ersten Drittel des 9. Jhr. die "Feste Sarkal" (russ. Bela Veza). Versuche sie für das orthodoxe Christentum zu gewinnen, wie z.B. die Missionsreise des "Slavenapostel" Konstantin / Kyrill nach Itli (860) hatte wenig Erfolg. Zwischen 650 und 850 sind nordgermanische Händler und Krieger an der Küste Kurlands (Saeborg bei Grobin), in Nordwestlitauen und an der Küste Estlands archäologisch durch schriftliche Hinweise nachweisbar. Nordgermaische Schiffe drangen im 9. Jhr. über die Wolga und den Dnepr und betrieben bewaffneten Raubhandel. Ihr Ziel war eine Verbindung zu den Märkten Mittelasiens, wobei die Chazaren und Wolgabulgaren den Zwischenhandel ausübten. Der Hanbdel mit Byzanz spielte für Nordeuropa keine Rolle. Diese Nordgermanen (=Wikinger, =Waräger) werden vom russischen Wort "varjag" auf das altnordische "vaering" (=Eidgenosse) zurüch geführt und versteht sich als Hinweis auf die "Verfassung der Schiffsgenossenschaft". Die Waräger wurden von der ansässigen bevölkerung in inneren Auseinandersetzungen zu Hilfe gerufen oder gegen Entlohnung angeworben. An verschiedenen, meist verkehrsgünstigen Orten errichteten sie befestigte Stützpunkte, von denen sie aus Herrschaft über die nähere Umgebung auszuüben versuchten.

Forschung
Das Problem, ob und in welchem Umfang die Waräger an der Gründung und dem Aufbau des altrussischen Staatswesen von Kiev Anteilnahme hatten, ist seit über 200 Jahren immer wieder erörtert worden.

1729, dt. Historiker G.S.Bayer:
erste ostslavische Herrschaftsbildung zwischen Novgorod und Kiev durch über die Ostsee kommende Skandinavier, den "Rus" (griech.: "Rhos")
1749 G.F.Müller bekräftigt Bayers These

1703-1769, der Dichter V.K.Trediakovskij erklärt die "Rus" zu Ostslaven
1711-1765, M.V.Lomonosov (Universalgelehrter) wies These Bayers als für Russland beleidigend ab (nationalpolitische Emotionen)

Seit dem sind "Normannisten" Verfechter der These von der nordgermanischen Herkunft der "Rus", und "Antinormannisten" nicht müde geworden.

1735-1809, A.L.Schlözer beschäftigt sich mit der "Nestor-Chronik" (>wikipedia)

Archäologen wiesen eine slavische Kultur am Fluß Ros (Nebenfluß des Dnepr) südlich von Kiev, im 6. und 7. Jhr. nach, daher ist eine Reichsgründung durch sie naheliegend.

Ein Gesandter des byzantinischen Kaisers Theophylos (829-842) war an den Hof Kaiser Ludwig d. Frommen gekommen um mit ihm ein Bündniss zu schließen. Unter den Gesandten befanden sich Angehörige des Volkes "Rhos", die infolge einer Straßensperrung nicht in ihre Heimat gelangten. Es stellte sich heraus, das die "Rhos" Schweden waren, Daher wird nicht angezweifelt, dass die Bezeichnung "Rhos" von den Byzantinern für alle Skandinavier im osteuropäischem Raum verwendet wurde. Jedoch ist zu bezweifeln, das alle mit "Rhos / Ros" oder "Rus" zusammengesetzten Ortsnamen (derer es viele, z.B. auch in der Gegend um Kiev gibt) auf die Skandinavier bezogen werden können.
Mit am einleuchtensten ist die Erklärung von Thomsens (dänischer Sprachforscher, 1842-1927), dass die finnische Bezeichnung für die Schweden (Ruotsi, vermutlich "die Ruderer") die Entsprechung für das ostslavische "Rus", das griech. "Rhos", darstellt und damit zunächst Skandinavier, dann allgemein Angehörige des Reiches von Kiev gemeint waren. Damit ist jedoch nichts über den Anteil der Skandinavier an der Entstehung der Kiever Rus ausgesagt, da man das Vorhandensein ostslavischer Stammesverbände mit eigenen Herrschern nicht übersehen darf. Derhistorisch anzusehende Name des ersten Fürsten von Kiev, sowie die Namen des größten Teils seiner Gefolgsleute waren skandinavisch. Dies schließt auf Herrschaftsbildung der Waräger in verschiedenen Gegenden Osteuropas und darüber hinaus werden warägische Söldner noch bis ins 11. Jhr. angeworben. Das seit der Mitte des 11. Jhr. der warägische Zustrom aufhört, hängt mit Wandlungen in Skandinavien zusammen, nicht zuletzt auch mit der Ausbreitung und Festigung des Christentums in Skandinavien.
Die ostslavischen Stämme befanden sich nicht auf gleichem Entwicklungsniveau. Die Poljanen (>wikipedia) am Dnepr um Kiev (chronikalisch im Mittelpunkt stehend) und ihre nordwestlichen Nachbarn, die Drewljanen (>wikipedia), hatten feste Verbände unter Fürsten, deren Herrschaft den gesammten stamm umfasste, zusammengeschlossen. Die Dynastie der Stammesfürsten wird auf Kij, den sagenhaften Gründer Kievs, hergeleitet, der sogar von Byzanz anerkannt worden sei. Die Herrschaft seines Geschlechtes stützte sich auf Burgen. Solche Burgherrschaften verschiedenen Umfangs, dürften auch die Kennzeichen der sozialstruktur der übrigen ostslavischen Stämme gewesen sein. Nur bei den Poljanen und Drewljanen scheint es ein die Burgherrschaft übergreifendes Stammesfürstentum gegeben zu haben.
Von zwei südlichen Stämmen, den Ulucen und den Tivercen am Dnestr, wird gesagt, dass sie Burgen gehabt haben, möglicherweise aber abgewandert sind, um sich der Herrschaft der Poljanen zu entziehen. Die Namen der meisten Stämme beziehen sich auf landschaftliche Begebenheiten, was darauf hin deutet, dass es sich um Neustämme nach der Wanderperiode handelt. Einzig der Name der Slovenen am Ilmensee ist gemeinslavisch.
Nicht gelungen ist bisher die überzeugende archäologische Abgrenzung der siedlungsgebiete der ostslavischen Stämme. Das Land war nur inselhaft besiedelt. Daher war eine herrschaftliche Erfassung nur von Orten aus möglich, die an großen Verkehrswegen lagen (wie Kiev).

Laut der Nestor Chronik (überlieferte Sage), besiedelten die drei Brüder Kij, Scek und Choriv je einen Berg, bauten gemeinsam eine kleine Feste (gorodok) und nannten sie nach dem ältesten Bruder "Kiev". Nach dem Tod der drei Brüder habe ihre Familie (rod über die Poljanen geherrscht.
Die Bezeichnung "rod" beinhaltet die Großfamilie bis hin zum Stammesverband. Darin waren auch Menschen zugeordnet, die in keinerlei verwandtschaftlicher Beziehung standen (> narod = Volk). Stammensverbände schlossen sich zu Großstämmen zusammen unter zentraler Herrschaft (wie Poljanen um Kiev). Die Herrschaft war nur aufrecht zu erhalten durch Anwerbung von Gefolgschaften (u.a. Söldner). Wie überall in Europa waren auch in Altrusslamd Gefolgschaften diejenige Kraft, die die Stammesbildung trugen. Die warägische Herrschaftsbildung vollzog sich nicht anders. Umstritten bleibt jedoch, ob es überhaupt solche warägischen Herrschaften neben den ostslavischen Stammesverbänden gab. Laut schriftlichen Quellen war es aber die Regel, dass warägische Kaufleutegenossenschaften unter Führung eines Gefolgsherrn ("Seekönig") bereits vorhandene Herrensitze eroberten und sich damit im osteuropäischen Raum festsetzten. Von größeren Übersiedlungen der Skandinavier nach Osteuropa kann man wohl nicht sprechen, da dafür die archäologischen Materialien nicht beweißkräftig genug sind.
Weil die sog, Nestor Chronik alle derartigen skandinavischen Herrschaftsbildungen (die sich untereinander heftig befehdeten) auf Rjurik zurückführt, wird sie angezweifelt. Die ersten skandinavischen Herrn, laut Chronik, von Kievwarn Askol´d und Dir. Jedoch kann man nichts näheres darüber aussagen. Askol´d ist jedoch eindeutig skandinavisch. Beide seien Gefolgsleute Rjuriks gewesen, die sich selbständig machten und sich in Kiev, dem einstigen Herrschaftssitz Kij´s, festgesetzt. "Sie sammelten viele Waräger um sich und begannen über das Land der Poljanen zu herrschen." (Nestor Chronik). Sie seien die Anführer des Zuges gewesen, der im Juni 860 die Kaiserstadt Konstantinopel zu tödlicher Gefahr brachten. Möglicherweise führte das zu Handelsbeziehungen und der Taufe von Askol´d und Dir. Denn nachdem sie 882 getötet worden, warden Kirchen auf ihren Gräbern errichtet. Auf jeden Fall gab es seit Mitte des 9. Jhr. Christen in Kiev.
Rjurik, den man vergeblich mit dem Wikinger Reric zu identifizieren versuchte, soll 20 Jahre in Novgorod geherrscht haben und 879 verstorben sein. Sein Verwandter Oleg zog 882 nach Kiev und erschlu Askol´d und Dir und setzte sich selbst in Kiev fest.
Die Bedrängnis des byzyntinischen reiches durch Bulgarien (Simeon 893-927) nutzte Oleg zu einem Feldzug gegen die Kaiserstadt, der durch einen schriftlich überlieferten Handelsvertrag und einem von Byzanz zu entrichtenden Geldtribut erfolgreich beendet wurde. Der Handelsvertrag von 912 ist das einzige urkundliche Zeugnis über die Regierungszeit Oleg´s. Als eigentlicher Gründer des Kiever Reiches muss daher Oleg bezeichnet werden. Ihm folgte Igor (angeblich Rjuriks Sohn). Doch zeigte sich alsgleich die unsichere und bedrohte Herrschaft der Kiever Fürsten darin, dass die Derevljanen (Drewljanen) sich sofort gegen den neuen Fürsten erhoben und gewaltsam unterworfen werden mussten. Dies wiederholte sich im 10. Jhr. nahezu bei jedem Regierungswechsel. Derweil besetzten die Pecenegen (reiternomadisches Turkvolk, siehe wikipedia) die Steppen nördlich des Schwarzen Meeres und kontrollierten die Gebiete zwischen Don und Donaumündung. Als Igor verstarb übernahm Witwe Ol´ga die Herrschaft als Vormund für Sohn Svjatoslav (945-964) und nahm um 955 das orthodoxe Christentum an. Jedoch lehnte die Gefolgschaft des bald danach regierenden Sohnes das Christentum ab. Svjatoslav siegt noch über die Chazaren und unterwirft die Vjaticen inkluisive des wolgabulgarischen Reiches. Als er sich versuchte in Bulgarien festzusetzen, wurde er 971 vom byzantinischen Kaiser zur Kapitulation gezwungen und 972 von den Pecenegen überfallen und getötet. Die zeitweilige Tributherrschaft über die Wolgabulgaren hielt nicht lang. Svjatoslav hatte vor seinem Bulgarienfeldzug das Reich unter seinen drei Söhnen aufgeteilt. Zum ersten Mal wird jene Form der Vererbung sichtbar, die in der Folgezeit zum Verhängnis des Kiever Fürstentums werden sollte: die Erbberechtigung aller männlichen Nachkommen, die zur Erbteilung führen musste. Sohn Jaropolk wollte wieder eine Einheit errichten, wie sie unter Igor war und wollte dadurch Bruder Vladimir in Novgorod beseitigen. Doch dieser floh nach Schweden, warb skandinavische Gefolgsleute an und unternahm einen Feldzug gegen Kiev. Unterwegs wurde Feste Polock eingenommen und das herrschende skandinavische Geschlecht ausgerottet. Er nahm Kiev durch Verrat ein und Jaropolk wurde ermordet. Doch die Forderungen der skandinavischen Gefolgsleute kostete ihn wiederum die errungene Herrschaft. Er soll die unbequemen nordischen Gesellen dann nach Byznz gewiesen haben, wo reicher Lohn zu gewinnen sei, zugleich habe er aber den byzantinischen Kaiser vor ihnen gewarnt.
Der byzantinische Kaiser Basileios II (976-1025) rief Vladimir von Kiev um Hilfe wegen innerer Ereignisse. Vladimir sandte warägische Gefolgsleute und half erfolgreich, verlangte dafür aber die Ehe mit Anna (Schwester von Basileios II. und Konstantin VIII.), dafür war er aber zur Annahme des orthodoxen Christentums bereit. Doch die byzantinische Diplomatie verzögerte dies, so dass Vladimir 988 die wichtigsten byzantinischen Kolonien am Nordufer des Schwarzen Meeres eroberte. Die Ehe wurde daraufhin geschlossen und Vladimir getauft. Somit trat er in die christliche "Familie der Könige" des Mittelalters ein und rückte durch die Eheschließung unter den Fürsten seiner Zeit in die Spitzengruppe. Nicht einmal Kaiser Otto d. Große hatte für seinen Sohn Otto II. eine "purpurgeborene" Prinzessin aus Byzanz zu gewinnen vermocht. Durch das orthodoxe Christentum verwehrt sich das geistige Leben Russlands bis ins 18. Jhr. gegen Einflüsse aus dem lateinischen, abendländischen Westen.

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